Eine Stadttaube umgeben von Papageien

Mein deutscher Schlafrhythmus zwang mich am Samstag schon um 5.30 aus dem Bett. Dunkle Wolken und sich im Wind biegende Bäume wünschten mir einen guten Morgen. An meinem ersten richtigen Tag in Bournemouth wollte ich mir das Stadtzentrum ansehen und den Strand erkunden. Doch das Wetter war eher von der Sorte Sich-drinnen-mit-einem-heißen-Tee-ins-Bett-setzen-und-ein-Buch-lesen. Es war kalt und regnerisch. Deshalb kostete es mich auch sämtliche Überwindung in meine Allwetterjacke zu schlüpfen und mich der Witterung auszusetzen. Doch es wäre auch schade gewesen den Tag nicht zu nutzen. Schon meine Gastmutter im dauerhaft verregneten Vancouver hatte immer gesagt: „Wenn du bei Regen nicht aus dem Haus gehst, dann wirst du nie das Haus verlassen.“ An Orten wie England trifft das wohl den Nagel auf den Kopf.

Bis zum Strand sind es zu Fuß 30 min. Theoretisch habe ich ja ein Fahrrad, doch praktisch ist mir das noch zu gefährlich. Der Linksverkehr bringt mich nochmal um! Ich stehe an einer Kreuzung, denke eine halbe Minute darüber nach, aus welcher Richtung die Autos jetzt kommen könnten und dann taucht trotzdem plötzlich ein Fahrzeug auf, das scheinbar aus dem Nichts herangerast kommt. Selbst an parkenden Autos am Straßenrand kann man sich nicht orientieren, denn offensichtlich darf man in England auch entgegengesetzt der Fahrrichtung parken, was bei mir zu noch mehr Verwirrung führt.

Folgendes Schild, welches an jedem Kreisverkehr hängt, hält mich übrigens ebenfalls davon ab auf mein Fahrrad zu steigen:

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Jedenfalls habe ich meinen Ausflug zum Strand nicht bereut. Denn das Meer kann bei so ungemütlichem Wetter auch etwas sehr faszinierendes haben. Ich bin also ein paar Kilometer am Strand entlanggelaufen, habe mir kälteunempfindliche Surfer und durchgefrorene Touristen angesehen. Währenddessen peitschten mir Regentropfen und Sandkörner ins Gesicht. Fotos zu machen war deshalb eine Herausforderung, weil jedes zweite Bild so aussah:

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Ein paar Bilder konnte ich aber doch einfangen:

 

 

Am Sonntag bin ich zum Campus der Arts University Bournemouth gelaufen um sicher zu gehen, dass ich am ersten Tag den Weg zu meiner neuen Arbeitsstelle finden werde. Offensichtlich ist es in England jedoch nicht üblich an einem Sonntag zur Uni zu gehen, denn kaum hatte ich meine Galerie gefunden, da musste ich mich vor einem Sicherheitsmitarbeiter rechtfertigen, was ich denn hier mache.

Im Anschluss startete ich einen kleinen Ausflug zu den Upper, Lower und Central Gardens von Bournemouth, die wunderschön waren. Die Pflanzenwelt hat hier eine viel größere Vielfalt als in Deutschland zu bieten. Auch ein Abstecher zum Bournemouth Pier hat sich gelohnt. Dort gibt es ein paar Fahrgeschäfte, ein Riesenrad und einen schönen Strand. Natürlich habe ich alles mit der Kamera festgehalten und mich über all die schönen Motive gefreut. Zuhause kam dann aber die Ernüchterung…. Ich hatte vergessen die Speicherkarte in die Kamera zu stecken. Nicht ein Foto wurde auf der Kamera gespeichert und somit kann nicht die tollen Bilder zeigen, die ich an diesem Tag gemacht habe.  😦 Lediglich ein Bild habe ich mit meinem Handy gemacht. Also hoffe ich, dass euch dieses süßes Eichhörnchen ein bisschen entschädigen kann.

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Abends war ich für das Deutschlandspiel in einem Pub verabredet, doch dass dieses Spiel nicht über den Verlust meiner Bilder hinweg half, brauche ich wohl niemandem zu sagen… Da hat sich die deutsche Mannschaft nicht unbedingt von der besten Seite gezeigt.

 

Heute war dann mein erster Arbeitstag. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht aufgeregt war. Ich hatte natürlich meine schickste Bluse und meine besten Schuhe an, um dann jedoch festzustellen, dass Bluejeans und ein lockeres Shirt wohl eher dem Dresscode entsprochen hätten. Violet, meine Chefin, stellte mich kurz vor, was eine Sache von keiner Minute war, da wir nur 5 Leute in einem etwa 15m²-Büro sind. Schließlich wurde mir Rasa als Betreuerin an die Hand gegeben. Rasa ist 21, aus Litauen, Studentin an der Uni und supernett. Wirklich supernett! Unser Arbeitstag begann damit, dass wir uns in ein Café der Uni setzten und ich mir etwas auf Kosten der Galerie aussuchen konnte, was ich als eine sehr nette Geste empfand. Wir nahmen beide einen Watermelon-Coconut-Cooler (fancy, oder? 😀 ).

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Im Anschluss ging es auf Entdeckungstour über den Campus. Und das ganz hipsterlike mit unserem Watermelon-Coconut-Cooler in der Hand oder wie ich es nennen würde: aromatisiertes, halbgefrorenes Zuckerwasser. Rasa führte mich von einer Ausstellung in die andere und mir dämmerte immer mehr, dass sie wirklich Künstlerin durch und durch ist. Ich wünschte wirklich, ich könnte das gleiche über mich sagen, doch wenn ich vor einem Bild stehe, auf dem dutzende Burstwarzen abgebildet sind und im nächsten Raum hunderte tote Ameise drapiert werden, dann kann mein Gehirn darin leider nicht viel mehr erkennen, als dutzende Brustwarzen und hunderte tote Ameisen.

(Unglücklicherweise ist das Brustwarzenbild etwas unscharf geworden, aber vielleicht erkennt ja trotzdem einer von euch die Message 😉 )

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Und diese schwarze Linie besteht tatsächlich aus toten Ameisen…  Auch hier bin ich offen für Interpretationsvorschläge 😀

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Trotzdem war es unglaublich interessant all diese Exponate zu sehen, denn es gab natürlich auch schöne Arbeiten, die auch ich als Unkreativer wertschätzen konnte. Vor allem war ich beeindruckt wie vielfältig die Arts University ausgerichtet ist. Von Tänzern über Schauspielern bis hin zu Architekten, Grafikern, Fotografen, Make-Up-Artists, Kunstmanagern und den klassischen Malern gibt es wirklich alles.

Schließlich gingen wir zurück in unser Büro, wo wir nach ein paar Kopierarbeiten dann auch schon wieder bereit für eine einstündige Mittagspause waren. Die Mensa ist wirklich beeindruckend. Da weiß man ganz genau, wohin die Studienkosten von 9000 Pfund jährlich hingehen.

Nach der Mittagspause widmeten wir uns unserem eigentlich Projekt: Im September wird es eine Ausstellung namens „Suddenly Last Summer“ geben. Dafür werden Exponate von Studenten ausgewählt und ausgestellt. Rasa und ich sind für einen Großteil der Organisation zuständig. Es umfasst viel Emailkontakt, Einpflegen von Daten und Dokumentierung. Aber für heute ließen wir es ruhig angehen und legten nur ein paar Worddokumente an.

Eins fiel mir heute während des Tages immer wieder auf: Ich bin ein absoluter Außenseiter. Nicht menschlich, sondern künstlerisch. Man hat das Gefühl jeder Mitarbeiter lebt dort für die Kunst. Durch deren Adern fließt pure Kreativität. Und dann bin ich da, die normalerweise um Kunstgalerien, Theater und Museen einen großen Bogen macht (was ich natürlich für mich behalten habe). Ich fühle mich ein bisschen wie eine Stadttaube in einer Schar voller farbenfroher Papageien.

Was übrigens überraschend positiv zu bewerten ist, sind die Lebensmittelpreise. Ich habe am Samstag bei Lidl und Aldi meinen Wochenendeinkauf gemacht und erfreulich festgestellt, dass es tatsächlich billiger als in Deutschland ist. Zumindest bei den Produkten, die ich kaufe. Wie ich das bis jetzt aber beobachtet habe, ist alles andere in England aber wirklich teurer als in Deutschland.

Und noch kurz ein paar Worte zu meiner Unterkunft: Erst nach meiner ersten Nacht habe ich begriffen, wie groß dieses Haus wirklich ist. Ich habe am nächsten Morgen tatsächlich nicht mehr den Ausgang gefunden, da im Gegensatz zum Vortag alle Türen geschlossen waren und das meinen Orientierungssinn komplett ausgehebelt hat. Zu meinen Mitbewohnern kann ich eigentlich noch gar nichts sagen, denn ich sehe kaum welche und wenn ich sie sehe, dann wirken sie sehr scheu. Ich habe die Erfahrung machen dürfen, dass ein Vorstellen mit Handschlag hier nicht üblich zu sein scheint und irritierte Blicke auslöst 😉

Einer hat mich hier aber besonders lieb und das ist der gute alte Sen. Dieser einäugige Kater erfüllt mit seinem Gingerlook das britische Klischee und ist wirklich unglaublich verschmust.

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Hier noch ein Foto von meinem Zimmer, dem Blue Room:

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Und das hier ist der Kühlschrankplan bei uns im Haus. Leider hat die Qualität des Bildes etwas gelitten, aber ich bin wirklich ein Fan von dieser Organisation in diesem Haus!WhatsApp Image 2018-06-18 at 20.59.29

 

 

Ein Gedanke zu „Eine Stadttaube umgeben von Papageien“

  1. Der Strand sieht trotz schlechtem Wetters voll schön aus! Schade, dass die anderen Fotos nicht gespeichert wurden 😦
    Und dein Zimmer sieht auch super gemütlich aus!
    Gib mir noch ein paar Tage Zeit, bevor ich mich an Interpretationen der Kunstwerke wage. Oder eher ein paar Jahre 😀

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